Diätweiden

Diätweiden

Anspruch und Gegebenheiten der Weidehaltung

Pferde, wie auch ihre Halter, fiebern dem Frühjahr und dem Saisonstart gleichermaßen entgegen. Für Pferdehalter kristallisiert sich oftmals der frühe Mai für den Austrieb heraus. Nach den Wintermonaten präsentieren sich zu Beginn der Weidesaison die Grünlandbestände mit jungen Grasaufwüchsen. Besonders zu dieser Zeit ist jedoch zu Achtsamkeit zu raten. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt und der Bestandszusammensetzung des jungen Weidegrases ist zu beachten, ob geeignete Bedingungen für Pferde vorliegen. Der Anblick des saftigen Grüns vermag in dieser Zeit zu täuschen - Augenschein und wertgebende Faktoren sind nicht zwangsläufig vereinbar. Pferde benötigen als Lauftiere widerstandsfähige Gründlandnarben. Die Phylogenese (geschichtliche Entwicklung) der Tiere ist derart beschaffen, dass sie auf eine stete Futterzufuhr, magere Weiden und viel Bewegung ausgelegt sind. Heutige Weiden und ihre Hochleistungsgräser entsprechen diesen Erfordernissen oftmals nicht. Weidelgras, ob deutsches oder welsches, ist für die Fütterung an Rinder angepasst und für Pferde oftmals zu energie- und proteinreich (VON BORSTEL und GRÄßLER, 2002).

Die Weide zum Saisonstart

Zum Saisonstart ist die Phytosyntheseleistung der Gräser höher, als deren Wachstum. Zu dieser Zeit speichern die Pflanzen v.a. in der Nacht hohe Mengen an Reserve-kohlenhydraten (Photosynthesezucker). Dadurch reichert sich Zucker in der Pflanze an (FULKERSON und DONAGHY, 2001). Mitunter sei hier auf die Gruppe der Oligo- und Polysaccharide der Fruktane verwiesen, die nachweislich und zielsicher eine Hufrehe auslösen können (LONGLAND und CAIRNS 2000). Fruktan zählt dabei zu den im Dickdarm fermentierten, schnell anflutenden Kohlehydraten (HOFFMAN et al. 2001). Grundsätzlich ist herauszustellen, dass sämtliche Zucker, v.a. bei einer regulären Überversorgung und im Besonderen leicht verdauliche Kohlenhydrate stoffwechsel-assoziierte Erkrankungen begünstigen. Als gesichert gilt: Einer fütterungsbedingten Hufrehe geht eine Veränderung der Dickdarmflora und des mikrobiellen Dickdarmmilieus sowie daraus entstehende Stoffwechselprodukte aufgrund der Aufnahme leicht fermentierbarer Kohlenhydrate voraus (GARNER et al. 1975, CARROL et al. 1987 und BAILEY et al. 2000, 2002, 2003 a, b).

Junge Aufwüchse weisen zudem noch niedrige Fasergehalte auf und sind damit leicht verdaulich. Schwer verdauliche und Strukturkohlenhydrate entsprechen der physiologisch bedarfsgerechten Versorgung des Pferdes. Dabei sind auch die Rohfaser-Gehalte zu berücksichtigen, welche Unterstützung der Darmperistaltik, Fermentation und damit ein langsames Anfluten des Zuckers aus Strukturkohlenhydraten gewährleisten. Insgesamt hohe Zuckergehalte, damit verbundene, erhöhte Energiegehalte sowie die hohe Verdaulichkeit zu dieser Zeit können damit auf gleich mehreren Wegen Stoffwechselprobleme begünstigen. Hier sollte dafür Sorge getragen werden, vor allem vorbelastete Tiere entsprechend zu berücksichtigen.

 

Probleme der Diätweide

Ein neuer Ansatz zur Berücksichtigung von Adipositas, bei Indikation von Hufrehe oder anderen mit dem Stoffwechsel in Verbindung gebrachten Krankheiten sind sog. Diätweiden. Bei diesem Weidesystem erfolgt zunächst häufig eine Nutzung als Weide oder eine Mahd zur Futterwerbung. Anschließend werden die Tiere auf diesem gekürzten Bestand ausgetrieben. Das System soll die Futteraufnahme begrenzen und somit diätische Wirkung entfalten. Dabei vereinen sich jedoch gleich mehrere Risikofaktoren. Fütterungsbedingte Stoffwechselkrankheiten können sich so rasch verschärfen.

 

 

  • Eine tiergerechte Versorgung ist aufgrund unzureichender und evtl. diskontinuierlicher Futteraufnahme nicht zu gewährleisten
  • Die Grasnarben können dauerhaften Schaden durch Verdichtungswirkung von Pferden nehmen
  • Unkräuter und Ungräser erhalten optimale Ausbreitungsbedingungen
  • Bei gleichzeitig extensiver Nutzung der Fläche und Verzicht auf Düngung verschärft sich der Besatzdruck weiter
  • Fruktan ist v. a. Stängelbasis-assoziiert und als Folge dessen Aufnahme erhöht

Aufgrund der oftmals unzureichenden Menge an Grundfutter auf den Weiden ist eine angepasste Futteraufnahme für das Tier nicht möglich. Deutlich herauszustellen ist hier, dass nicht die Menge der aufgenommenen Energie der limitierende Faktor ist, sondern der Füllgrad des Verdauungssystems. Die Sättigung erfolgt über die Kaumuskulatur. Pferde sind nicht an zu geringe und diskontinuierliche Aufnahmen an Grundfutter angepasst. Der Magen produziert weiterhin Säure, übersäuert und kann im schlimmsten Fall sogar verätzen (Fritz, 2013). Selbst bei ausreichender Menge an Grundfutter auf der Weide kann dieses dann oftmals zu energiereich sein und v.a. zu hohe Anteile leicht verdaulicher Kohlenhydrate (wie Fruktan) aufweisen. Dies trifft besonders auf Deutsches und Welsches Weidelgras zu, welche traditionell hohe Fruktangehalte aufweisen. Geeignetere Sorten für Pferde wären beispielsweise Wiesenfuchsschwanz und Wiesenlieschgras (VON BORSTEL und GRÄßLER, 2002). Stoffwechselerkrankungen sind andernfalls bereits vorprogrammiert.

Durch die verdichtende Wirkung beim Pferdeaustrieb und den kurzen Verbiss durch die Tiere wird die Grasnarbe zudem dauerhaft geschädigt (Artikel auf AG FUKO Webseite: Überweidung schadet Grünland und Pferd). Dies schadet primär der Grasnarbe. Sekundär kann dies zu diffusen metabolischen Ausfallerscheinungen führen. So haben SELDAL et al. (1994) einen Zusammenhang zwischen Beweidungsintensität und Abwehrmechanismen (Trypsin-Inhibitoren) von Gräsern festgestellt. Des Weiteren stehen Mahd-Weiden im Verdacht toxische Auswirkungen (z.b. durch Endophyten) zu haben. So ist eine Reinfektion mit Spülwürmern durch Heu bereits nachgewiesen worden. In Hinblick auf die zunehmende Resistenzbildung gegen medikamentöse Endoparasitenbehandlungen ist daher Achtsamkeit geboten (MEIER et al., 2015). Spätestens im Folgejahr können sich unzureichende Qualitäten bemerkbar machen, die nur unter erhöhtem Mehrkostenaufwand, z.B. mittels einer Grasnarbenverjüngung, wieder ausgeglichen werden können.

Generell können Weiden als ein selbstregulierendes Biom (Naturraum) betrachtet werden. Gräser unterdrücken die Unkrautausbreitung, da sie ein dominanteres Wachstum aufweisen. Das System reguliert sich außerdem durch einen Stickstoff-Antagonismus, von dem die Gräser deutlich stärker profitieren als ihre Konkurrenten (Web-Artikel: Pferdeweiden richtig an den Saisonstart bringen). Zusätzlicher Nutzen dabei: N-Düngung senkt auch die Fruktangehalte (Web-Artikel: N-Düngung auf Pferdegrünland verringert Fruktan; SMITH 1968, LANG 1972, HEHL und MENGEL 1972, LAMPETER et al. 1973).

Pferde selektieren bei der Futterauswahl. Viele Unkräuter werden gemieden. Dadurch werden die Bedingungen für Unkräuter, Ungräser und deren Verbreitung begünstigt. Bei gleichzeitiger extensiver Nutzung und Verzicht auf Düngung der Flächen addieren sich mehrere Faktoren auf, die leicht dazu führen können, dass das Weideland im nächsten Jahr stark verunkrautet. Eine N-Düngung sowie deren Begrenzung (~50-60 kg N/ha) sind gleichermaßen sinnvoll, um nur ein Beispiel zu nennen. Das Düngemanagement ist jedoch ein komplexer Themenbereich, auf den an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Im Fall bereits integrierter Kreuzkräuter besteht zudem die Gefahr einer explosionsartigen Vermehrung. (Beitrag dazu im 1. Rundbrief der AG FUKO, 2016 und Webseiten-Artikel: Jakobs-Greiskraut - Die gelbe Gefahr auf dem Grünland).

Lösungsansätze

Grundsätzlich sollte die Entscheidung für das Beweidungssystem der Diätweide wohlüberlegt sein. Weniger risikobehaftet wäre es, den Weidegang zu begrenzen und ein entsprechend qualitativ hochwertiges Raufutter zu Verfügung zu stellen. So vermag bei insgesamt erhöhten Energiegehalten auf der Weide ein energiearmes Raufutter bereits viel für eine bedarfsgerechte Versorgung zu leisten. Abseits dessen bieten sich empfehlenswerte Handlungsalternativen an:

  • Düngemanagement
  • Prozess- und Verfahrenstechnik
  • Bewegung
  • Bedarfsbewertung

Das Düngemanagement wurde eingangs bereits erläutert (Stickstoff-Antagonismus). Nähere Informationen finden Sie auch bei unseren Kollegen der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen:

https://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/tierproduktion/pferdehaltung/betrieb/weidemanagement.htm

Mit der Prozess- und Verfahrenstechnik sind in erster Linie die Futterwerbung und
-konservierung gemeint. Sollte das Futter nicht in Eigenproduktion hergestellt, sondern, wie zumeist üblich, vom Landwirt bezogen werden, ist eine enge Zusammenarbeit zielführend. Bei entsprechender Schnitthöhe sind die Stängelbasis-lokalisierten Fruktangehalte bereits nach dem Schnitt niedriger. Die optimalen Schnittzeitpunkte für Wiederkäuer und Pferde unterscheiden sich. Die von Landwirten angestrebten hohen Energiegehalte sind für Pferde selten bedarfsgerecht. Vor allem überständige Weiden und späte Schnitte, unter Berücksichtigung des phytosanitären Zustands, sind für Pferdehalter interessant. Dabei sind auch die Sommer- und Herbstaufwüchse abseits des 1. Schnittes von Interesse (SCHUBIGER et al., 1998). Um die Zuckergehalte bereits beim Schnitt zu senken, ist es sinnvoll das Gras bereits vormittags zu schneiden, die Restatmung der Pflanze zu nutzen und so die initialen Zuckergehalte der Gräser zu senken. Die Auswirkungen solch produktionstechnischer Anpassungen können sehr groß sein. So zeigten sich in Untersuchungen von LONGLAND und CAIRNS (2000) zum Deutschen Weidelgras relative Anstiege zur Mittagszeit von 15 % und Verlagerungen von Fruktan in die Blätter. Das Weidemanagement selbst bietet viele Stellschrauben. Beispielsweise ist eine ad libitum Fütterung nicht grundsätzlich anzuraten. Oftmals erzielt eine Begrenzung der Weidezeiten und eine bedarfsgerechte Zufütterung gute Ergebnisse. Das Credo ist grundsätzlich: Raufutter vor Kraftfutter (Web-Artikel: Wohlstandskrankheiten und ihre Ursachen).

Grundfutteruntersuchung in der Entscheidungsfindung berücksichtigen

Obgleich es hinreichend bekannt ist, findet die Bedarfsbewertung des Pferdes als Grundlage einer angepassten Versorgung in der Praxis noch zu selten Berücksichtigung. Auch offizielle Stellen raten zu einer strukturierteren Vorgehensweise. Nähere Informationen finden Sie bei unseren Kollegen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen:

https://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/tierproduktion/pferdehaltung/fuetterung/futterrationen-berechnen.htm

Die wichtigste Grundlage für eine bedarfsgerechte Fütterung bildet dabei die Grundfutteruntersuchung!

Gerrit Frahmann, AG FUKO

Helge Bernotat

 

                              

Quellen

 

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Endotoxin and dietary amines may increase plasma 5-hydroxytryptamine in the horse. Equine Vet. J., 32, 497-504

BAILEY, S. R., A. RYCROFT u. J. ELLIOTT (2002):

Production of amines in equine cecal contents in an in vitro model of carbohydrate overload. J. Anim. Sci., 80,2656-2662

BAILEY, S. R., C. M. MARR u. J. ELLIOTT (2003a):

Identification and quantification of amines in the equine caecum. Res. Vet. Sci., 74, 113-118

BAILEY, S. R., M.-L. BAILLON, A. N. RYCROFT, P. A. HARRIS u. J. ELLIOTT (2003b):

Identification of equine cecal bacteria producing amines in an in vitro model of carbohydrate overload. Appl. Environ. Microbiol., 69, Nr. 4, 2087-2093

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                Gruber Tabelle zur Pferdefütterung,                     5. Auflage 2018

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Fritz, C. (2013) 

Pferde fit füttern: Wie ich mein Pferd artgerecht ernähre. Cadmos Verlag.

FULKERSON, W.J., D.J. DONAGHY (2001):

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GARNER, H. E., J. R. COFFMANN, A. W. HAHN, D. P. HUTCHESON, u. M. E. TUMBLESON (1975):

Equine laminitis of alimentary origin: An experimental model. Am. J. Vet. Res., 36, 441-445

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LAMPETER, W., H. MATTHIES u. A. TCHAPTCHET (1973):

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