Kälberdurchfall
Ursachen
Eine Diarrhoe beim Kalb beschreibt eine akute Durchfallerkrankung innerhalb der ersten Lebenswochen. Eine Einteilung in infektiöse und nicht-infektiöse Faktoren ist üblich. Zu Erstgenannten zählen Viren, Bakterien und Parasiten, zu letzteren vor allem das Betriebsmanagement. Unter den infektiösen Faktoren sind die wichtigsten Erreger für Kälberdurchfall Rotaviren, Kryptosporidien, enterotoxische E. coli und BVD/MD-Viren. Mischinfektionen sind häufig. Bei ersten Anzeichen empfiehlt sich der fachliche Rat und die Behandlung durch einen Tierarzt. Generell sollten Antibiotika das letzte Mittel der Wahl sein. Das wichtigste Werkzeug des Landwirtes ist die Prävention über das Betriebsmanagement.
Die Geburtshygiene, eine adäquate Kolostrumversorgung und ein gewissenhaftes Tränkemanagement sind wichtige Einflussmöglichkeiten. Studien weisen zudem darauf hin, dass die Entleerung des Labmagens bei an Diarrhoe erkrankten Kälbern verzögert stattfindet und nicht auf ungenügende Gerinnung zurückzuführen ist (Kirchner, 2015).
Anatomische Gründe
Bis zu 10 % aller Kälber verenden an Kälberdurchfall (Springer, 2003). Darüber hinaus sind das körperliche Wachstum, die Ausbildung reproduktiver Organe (Gebärmutter, Eierstöcke) und des Eutergewebes wichtige Faktoren. Letztlich bestimmt sich dadurch bei Kühen der Zeitpunkt der Amortisierung. Das Erstkalbealter entsprechend der biologischen Veranlagung der Holstein-Kuh liegt bei 24-26 Monaten. Dabei sollte das Zielgewicht der ersten Belegung zumindest 60 % des Endgewichtes ausmachen. Bei verminderten Zunahmen kann die Erstbelegung der Kuh nicht zum optimalen Zeitpunkt erfolgen. Ein Beispiel: Um ein Erstkalbealter von 24-26 Monaten zu erreichen sind Lebensmassezunahmen (LMZ) von rund 700-800 g/Tag erforderlich. Bei LMZ von rund 600 g/Tag verschiebt sich das Erstkalbealter auf 30 Monate. Das ist ein um 15-20 % verschobenes Erstkalbedatum und eine entsprechend verlängerte Fütterungsperiode ohne Produktbildung. Kälber können in den ersten vier Lebenswochen als Monogastrier angesehen werden. Erst im Folgenden bilden sich die Strukturen aus, die eine Verwertung von Raufutter ermöglichen. Das schließt den Pansen im Besonderen, Darmzotten sowie die Enzymausstattung (keine Amylase zur Stärkeverdauung) ein. Für die Verdauung der Milcheiweiße sind Enzyme wie Chymosin und Pepsin notwendig. Das Chymosin (auch Labferment) dient als spezifisches Enzym zur Spaltung von Casein, die Pepsine zur Spaltung der Molkenproteine. Die Umstellung des Enzymverhältnisses von Chymosin zu Pepsin benötigt etwa zwei bis drei Wochen. Erst dann können andere Proteinquellen von Kälbern sinnvoll verwertet werden.
Frühe Fütterungsphase
Die Initialversorgung des Kalbes über das Kolostrum beeinflusst die passive Immunabwehr - eine wichtige Grundvoraussetzung zum Schutz vor infektiösen Faktoren. Darüber hinaus beeinflusst sie auch langfristig die Entwicklung und Funktion des Verdauungssystems, das Auftreten von Durchfall- und Atemwegserkrankungen sowie die Gewichtszunahme positiv. Grundsätzlich beeinflusst das Ernährungsniveau in der Neonatalperiode (Neugeborene) lebenslang das Futteraufnahmeverhalten des Tieres (Fahrenkrog, 2004). Eine intensive Fütterung führte im Gegensatz zur restriktiven Fütterung in den ersten Lebenswochen zu kurzfristigen Konditionsverbesserung und mittel- bzw. langfristig einer höheren Produktivität bezogen auf die spätere Laktationsleistung (Drackley et al., 2007 und Soberon et al., 2012)
Fütterung
Die Energiebereitstellung erfolgt in dieser Phase ausschließlich über Milch und Milchaustauschfuttermittel (MAT). Letztere erleichtern die Versorgung der Kälber. Allerdings ist das Mischungsverhältnis zu beachten. 10 g MAT/kg Körpergewicht sind empfohlen. Praktisch entspricht dies zumeist zwischen 120-160 g/l Milchaustauscher in (nicht auf!) Wasser. Ein häufiger Fehler: Die nachträgliche Zugabe des MAT auf Wasser erhöht das Volumen. Bewährt haben sich MAT auf Magermilchbasis (mindestens 40 %). Diese wiesen hohe Verträglichkeiten, gute LMZ und bei auftretender Erkrankung die niedrigste Anzahl an Durchfalltagen auf (Löhnert & Ochrimenko, 1997). Von Nullaustauschern (kein Casein) ist dringend abzuraten. Ebenso können Saccharose (Rohrzucker) und Fructose (Fruchtzucker) in den ersten Lebenswochen zu schweren Durchfällen führen. Hier sind sowohl die Durchfallinzidenz erhöht, als auch die LMZ erniedrigt.
Vor allem Gründe der Bekömmlichkeit und Hygiene sprechen für die Warmfütterung. Bei einer Fütterung der Milch bei Körpertemperatur arbeiten die Enzyme optimal und die Energieverluste sind gering. Ein direkter Zusammenhang zwischen Tränktemperatur und Durchfallinzidenz konnte bisher nicht hergestellt werden. Auch die Casein-Ausfällung ist nahezu ausschließlich säureassoziiert. So konnten schon Owen & Brown (1985) keinen Einfluss zwischen Temperatur der Tränke, LMZ und Futterverwertungseffizienz feststellen. Allerdings können zu hohe Tränketemperaturen zu Beschädigungen der Magenschleimhaut, zu niedrige Temperaturen zum Ausbleiben des Haubenrinnenreflex führen („Pansensäufer“). Darüber hinaus bildet warme Milch einen optimalen Nährboden für Keime, womit der Keimdruck beim Abkühlen sogar noch wächst. Besonders dort, aber auch generell ist Überfütterung ein maßgeblicher Faktor zur Auslösung von Durchfallerkrankungen. Eine Kalttränke ist dennoch nur bei entsprechender Ansäuerung zu empfehlen. Ein pH-Wert von 5,5 hat sich bewährt. Bei höheren pH-Werten ist die Keimhemmung unzureichend, bei niedrigeren pH-Werten sinkt die Akzeptanz der Kälber. Beim Kolostrum schließt sich die Kalttränke jedoch aus. Alle zuvor genannten Faktoren begünstigen das Auftreten von Durchfallerkrankungen. Ein Wechsel der Fütterungsstrategie kann Risiko minimierend wirken. Grundsätzlich bieten sich drei Tränkestrategien an:
nach Gruber Tabelle zur Fütterung der Milchkühe (2017)
Tränkestrategien |
+ |
- |
Sauertränke |
- Kasein kann im Labmagen leicht gerinnen - Geringe Mengen, keine Überfüllung des Labmagens - Stabilisierung Verdauung - Durchfallgefahr ↓ - Haltbarkeit ↑ - Arbeitsaufwand ↓ |
- Höhere Management-Anforderungen (Umgang mit starken Säuren) - Erhöhter Beobachtungsbedarf |
Ad libitum Tränke |
- Angebot nach Belieben, dadurch: - Gefahr der Unterversorgung ↓ (Tageszunahmen, bessere spätere Entwicklung) - Haltbarkeit ↑ - Arbeitsaufwand ↓ |
- Umstellung von restriktiv auf ad libitum nicht möglich (ungenügende Gerinnung; Durchfall) - Ansäuern nötig (siehe Sauertränke) |
Joghurt-Milch-Tränke
|
- Gute Verträglichkeit (Kalttränke möglich) - Haltbarkeit ↑ - Vorverdauung der Milch (keine Gerinnungsprobleme) - pH-senkende Wirkung im Verdauungstrakt - Hemmung pathogener Keime - Durchfallgefahr ↓↓ |
- Hoher Aufwand |
Bei allen Fütterungsarten sind grundsätzliche Versorgungsempfehlungen zu beachten:
Fütterungsempfehlungen für Kälber
Lebenswoche |
Milchmenge in l/Tag |
1 |
4,5-6 |
2 |
7-8 |
3 |
8 |
4 |
8 |
- Ab der 5. bis zur 8. Lebenswoche sollte das Abtränken erfolgen
- Eiweißlücke auffangen (Umstellung von Milch auf Kraftfutter)
Die vorhergehenden Fütterungssysteme sind maßgeblich der Prävention zuzuordnen. Ist der Durchfall bereits ausgeprägt, bieten sich orale Rehydrationslösungen (Eingabe über das Maul), wie Diätfuttermittel, an. Neben der Elektrolyt- und Flüssigkeitszufuhr bieten diese auch ein breites Spektrum an Pro- und Präbiotika und weiteren wertgebenden Inhaltstoffen, die das Abklingen der Diarrhoe begünstigen (Kirchner, 2015). Dem Vorgang des Abtränkens ist eine besondere Bedeutung beizumessen. Während dieser Phase stellt sich die anatomische Ausprägung des Kalbes von der eines Monogastriers zu der eines Polygastriers um. Bei Berücksichtigung des Tränkemanagements ist der Kälberdurchfall an diesem Punkt überwunden. Erwähnenswert ist die Einsatzmöglichkeit ganzer Maiskörner. Bis zur 10. Lebenswoche können diese nicht unverdaut ausgeschieden werden und begünstigen daher die Pansenentwicklung.
Hygiene und Fürsorge beachten
Es zeigten sich enge Zusammenhänge zwischen der Motivation, Fürsorgeintensität und vor allem der Sauberkeit im Stall sowie der Dauer von Durchfallerkrankungen. So äußert sich beispielsweise ein Wechsel des betreuenden Personals nachweislich in einer erhöhten Inzidenzrate (Häufigkeit) von Durchfallerkrankungen. Dies lässt sich mitunter dadurch erklären, dass Kälber frühe Erfahrungen mit Menschen verinnerlichen.
Positive Erfahrungen führen somit zu geringerer Scheu, geringerem Ausweichverhalten und äußern sich in niedrigeren Cortisolwerten (Stresshormon). Das Kalb hat somit weniger psychologischen und physiologischen Stress (Probst et al., 2012). Grundsätzlich sind die Ställe sauber zu halten und nach Möglichkeit zu desinfizieren. Vor allem das Halten mehrerer Kälber in einem Stall bietet rasche Verbreitungsmöglichkeiten von Durchfallerregern. Kälberiglus und die separate Haltung in den ersten Lebenswochen haben sich etabliert und äußern sich in deutlich niedrigeren Durchfallraten und Neuerkrankungen. In der Praxis haben sich Schmerzmittel als eine Möglichkeit bewährt, das individuelle Wohlbefinden zu steigern und die Fresslust des Kalbes aufrecht zu erhalten. In jedem Fall sind der Elektrolythaushalt und der Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Dazu ist weiter mit Milch und MAT zu füttern. Dieses Weiterfüttern hat dabei nachweislich keinen Einfluss auf die Dauer der Durchfallerkrankung und schafft eine grundlegende Voraussetzung zum Ausgleich der Elektrolyt- und Flüssigkeitsverluste.
Gerrit Frahmann, AG FUKO
Quellen:
Drackley JK, Pollard BC, Dann HM, Stamey JA., (2007):
First-lactation milk production for cows fed control or intensified milk replacer programs as calves. Journal of Dairy Science;90 (Suppl. 1):614
Fahrenkrog S, Harder T, Stolaczyk E, et al. (2004):
Cross-fostering to diabetic rat dams affects early development of mediobasal hypothalamic nuclei regulating food intake, body weight, and metabolism. The Journal of nutrition; 134:648-654
Kirchner D., (2015):
Effekte oraler Rehydratationsmaßnahmen bei gesunden, durchfallkranken und experimentell dehydrierten Kälbern, Dissertation Universität Leipzig, abgerufen am 6.4.2018 unter: http://ul.qucosa.de/landingpage/?tx_dlf[id]=http%3A%2F%2Fubl.qucosa.de%2Fapi%2Fqucosa%253A14001%2Fmets
Löhnert, H. J., & Ochrimenko, W. I. (1997):
Der Einfluss verschiedener Sojaproteinquellen im Milchaustauscher auf das Aufzuchtergebnis bei Kälbern. Proc. 109. VDLUFA-Kongr, 15(19.09), 1997.
Owen, F. G., & Brown, C. J. (1958):
Interrelationships of Milk Temperature, Dilution, and Curd Formation in the Response of Calves to Whole Milk Diets1. Journal of Dairy Science, 41(11), 1534-1540.
Probst, J. K., Spengler, A., Leiber, F., Kreuzer, M., & Hillmann, E. (2012).:
Was positives Handling bei Rindern in den ersten Lebenstagen bewirkt. VetJournal, 65, 26-32.
Soberon F, Raffrenato E, Everett RW, Van Amburgh ME., (2012):
Preweaning milk replacer intake and effects on long-term productivity of dairy calves. Journal of Dairy Science 2012; 95:783-79
Springer, G. (2003):
Kälberverluste in Milchviehbetrieben Schleswig-Holsteins - Ursachen und Maßnahmen zur Reduzierung. Institut für Tierzucht und Tierhaltung, CAU zu Kiel, Dissertation