Neuseeland – Hier wird Futterbau groß geschrieben
Neuseeland ist für viele ein Traum. Die beiden Inseln im Südwestpazifik liegen für uns Europäer gefühlt am Ende der Welt. Je nach Flugverbindung sitzt man 34 bis 45 Stunden im Flieger oder dank Zwischenstopps am Flughafen. Das hat 24 AGFUKO-Mitglieder aber nicht davon abgehalten, sich Mitte November 2018 ihren Traum zu erfüllen. Erste Amtshandlung beim Erreichen der Insel: Die Uhren 12 Stunden vorstellen. Zweite Amtshandlung: Neuseeländische Dollars aus der Wand ziehen (Umrechnungskurs: aktuell 1 NZ-Dollar = 0,59 Euro-Cent).
Die grünen Inseln locken vor allem wegen ihrer landschaftlichen Reize wie schneebedeckte „Alpen“, Vulkane, heiße Schwefelquellen, Urwald mit Baumfarnen, exotischen Vögeln (z.B. dem Kea-Papagei oder Kiwi) sowie traumhaft schönen Stränden und Fjorden mittlerweile jährlich über 2 Mio. Touristen ins Land. Bei nur 4,6 Mio. Einwohnern sind die „Touris“ ein bedeutender Wirtschaftsfaktor des erdgeschichtlich gesehen noch jungen Kontinents. Die stets drohende Gefahr von Erdbeben wurde immer dann bewusst, wenn Auswirkungen zu sehen waren, wie z.B. schroffe Felsen vor der Küste oder ehemals mit Häusern bestandene große Flächen in Christchurch (heute Grünanlagen).
Für Landwirte ist Neuseeland aus einem anderen Grund interessant: Die Landwirtschaft ist dort einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren des Landes. Die grünen Inseln sind ein Futterbauland, wie es im Buche steht. In den weitläufigen Grasebenen dominieren Weiden, die intensiv mit Kühen, Fleischrindern, Schafen und Lämmern genutzt werden. Große Beregnungsanlagen vor allem auf der Südinsel sollen den Grasaufwuchs weiter steigern. Vor allem auf der Südinsel sieht man auch Rotwildgatter. Das Wild wird nicht geschossen, sondern geschlachtet oder Hirschen unter Betäubung das Geweih für Trophäenjäger (meist aus den USA) abgesägt.
Abbildung 1 Typisches Hügelland mit intensiv genutzten Schafweiden
Das grüne hügelige Hinterland, das über die gesamten 3.500 km der Busrundreise immer präsent war, wird von Schafen und Fleischrindern beweidet. Entsprechende Trampelpfade quer zum Hang sind vom weiten zu sehen und weisen auf die intensive Nutzung auch dieser Regionen hin. Um neues Weideland zu gewinnen, werden ganze Hügel abgeholzt. Bei uns undenkbar. Doch auch in Neuseeland mehren sich die Stimmen derer, die von der Landwirtschaft mehr Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein fordern.
Die neuseeländische Landwirtschaft muss seit 1987 ohne staatliche Subventionierung auskommen. Was 1840 durch den Bischof Samuel Master, der Kühe und Bullen der Rasse Shorthorn auf die Insel mitbrachte, begann, hat sich heute zu einer Größenordnung entwickelt, die man auf dem Weltmarkt „Global Player“ nennt: seit 2001 vermarktet das Molkereiunternehmen Fonterra Co-operative Group (gegründet aus zwei großen Milchindustrieunternehmen, Sitz in Auckland), 95 % der neuseeländischen Milch. Dabei werden 97 % als Milchpulver auf dem Weltmarkt verkauft.
Einer der Hauptabnehmer sind die asiatischen Länder. Vielleicht neben der Entfernung ein weiterer Grund dafür, dass Neuseeland bei den Asiaten als Urlaubsziel sehr beliebt ist. Denn hier sieht man die Kühe ausschließlich auf der Weide grasen. Ställe sucht man (noch) vergebens. Laut Auskunft unseres Reiseleiters Gernot, einem 73 Jahre alter Förster aus dem Schwarzwald, der mit seiner Frau seit den 1980ziger Jahren im neuseeländischen Hinterland auf seiner Farm lebt, beschäftigt Fonterra asiatische Mitarbeiter auch in der Abpackung von Milchpulver. So wird Vertrauen geschaffen, das vor allem bei Chinesen verloren ging, als chinesisches Milchpulver mit einer Art Glykol gepanscht wurde und Säuglinge starben. Weitere Abnehmer für Milchpulver aus Kiwi-Land sind die USA, Emirate, Japan und Australien.
Ein Produktionsvorteil Neuseelands ist das wüchsige wärmere Klima. Die Temperaturen liegen im Waikato-Gebiet (intensive Milcherzeugungsregion auf der Nordinsel) zwischen 4 °C und 24 °C. 1.260 mm Niederschlag fallen im Jahr und die Sonne scheint 2.000 Stunden. Die gute Position auf dem Weltmilchmarkt hat dazu geführt, dass neuseeländische Milcherzeuger deutlich intensiviert haben, während sich die traditionell stärkere Schafhaltung auf dem Rückzug befindet. Gut 5 Mio. Kühe stehen heute auf Nord- und Südinsel. Das sind mehr als 1 Kuh je Einwohner (4,6 Mio.). Im Vergleich dazu kommen in Deutschland mit 81 Mio. Einwohner und 4,2 Mio. Kühe 0,05 Kühe pro Einwohner. Und Schafe? In Neuseeland sind es gut 27 Mio. (6 je Einwohner), in Deutschland 0,02 je Einwohner. Seit 1991 hat sich die Produktion der „Milksolids“ (Feststoffe Fett und Eiweiß) je Hektar in NZ fast verdoppelt.
Da der „abfedernde“ Binnenmarkt fehlt, müssen die Neuseeländer aufgrund ihres höheren Exportvolumens im Vergleich zu den EU-Kollegen mit stärkeren Milchpreisschwankungen auf dem Markt zurechtkommen. Farmer erzeugen ihre Milch deshalb so kostengünstig wie möglich. Je 100 kg Milch liegen die Produktionskosten in NZ etwa 30 % niedriger als in der EU. Hohe Einzeltier-Milchleistungen sind in NZ weniger gefragt als hoher Weideertrag (Milchinhaltsstoffe/ha). Ökonomischer „Profit“ je Hektar ist die Zielgröße.
Der durchschnittliche Grasertrag beträgt auf einem typischen Waikato-Milchviehbetrieb etwa 15.000 kg Trockenmasse/Hektar/Jahr (Schwankungsbreite 11.000 bis 18.000 kg). Ein Beispiel: Bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 140 ha könnte eine Farm bei schlechtem Grasaufwuchs 2,2 Kühe/ha halten, bei gutem Aufwuchs 2,7 und bei bestem Aufwuchs 3,5 Kühe/ha, um den Grasaufwuchs optimal zu nutzen. Es gilt immer, so wenig Futter wie möglich auf den Betrieb einzuführen und zwischen Grasaufwuchs, Kuhbesatz und ökonomischem Optimum die Balance zu erreichen.
Mit Hilfe eines Messgerätes werden auf der Weidefläche aktuelle Aufwuchshöhen gemessen und die Rotation (Beweidung) der Paddocks (Einzelflächen) bzw. die Ernte von Futterreserven in Siloballen (selten im Fahrsilo) danach zeitnah geplant. Auf jeden Fall versuchen die Betriebe, so wenig wie möglich Gras durch Zusatzfutter in der Ration zu verdrängen. Während der Laktation können die Betriebe 3 kg/Kuh/Tag Palmkernschrot zufüttern, mehr nicht, aus Umweltschutzgründen (Nitratprobleme). Mittlerweile wird zusätzlich auch Getreide eingesetzt. Im Winter werden die Kühe hauptsächlich mit Grassilage gefüttert, können aber auch Futterrüben oder Kohl auf den Futterbauflächen abweiden. Auf der Südinsel sieht man viele stationäre große Beregnungsanlagen, die in festen Halbkreisbahnen über die gesamten Weidepaddocks fahren und diese in der Saison täglich beregnen bzw. auch Gülle verregnen.
Doch ändert sich infolge der Intensivierung der Milcherzeugung allmählich auch die traditionelle Produktionsweise auf den Farmen: Wirtschafteten im Jahr 2.000 noch über 40 % der Farmer ohne Import von Futter, hat der Anteil dieser Farmen bis 2013 deutlich abgenommen. Dafür hat die Zahl der Farmen zugenommen, die einen Teil ihrer Trockensteher und Jungtiere von anderen Farmen füttern lassen bzw. ein Viertel bis ein Drittel ihres benötigten Futters das ganze Jahr über importieren.
Abbildung 2 Herefordrinder zur Fleischerzeugung
Die Züchtung der Milchrassen konzentriert sich auf Fruchtbarkeit, Klauengesundheit und Robustheit der Tiere. Denn sie leben das ganze Jahr über draußen, müssen leicht tragend werden, leicht abkalben und gut laufen können. Stallbau und damit Stallbaukosten spielen auf Neuseeland (noch) eine sehr untergeordnete Rolle. Um den Grasaufwuchs bestmöglich zu nutzen, kalben die Kühe im Frühjahr (in NZ September Oktober) auf den Weideflächen ab und setzen mit ihrer Hauptmilchleistung ein, wenn die Zuwachsraten der Grasnarbe am höchsten sind (Oktober bis Dezember). Im Mai/Juni werden die meisten Kühe trockengestellt. Blockabkalbung im Winter ist in Neuseeland weit verbreitet. Nur wenige Betriebe bieten auch mittlerweile auch Wintermilch an.
Im Rahmen unsere Rundreise konnten wir sieben Farmen (Milchvieh, Zuchtbullen, Fleischrinder und Schafe) sowie ein Weingut und eine Obstplantage besichtigen. Einige Farmen sollen hier genauer vorgestellt werden.
Bilder und Text: Frau Kahnt-Ralle